Jedes Jahr im Februar finden in Berlin Filmfestspiele statt, bei denen man die Gelegenheit hat, Filme aus aller Herren Länder zu sehen. Als gebürtiger Berliner verhält es sich wie mit vielen Attraktionen, die die Stadt zu bieten hat: Man lernt sie erst kennen, wenn Gäste zu Besuch sind. Aus ebendiesem Grund stand ich in diesem Frühjahr dort, wo ich eigentlich niemals hatte stehen wollen: in der langen Schlange der Kartenkaufenden am Potsdamer Platz. Als ich aber an der Reihe war, kam die noch größere Überraschung.
Den Titel des Filmes, den meine Begleitung sehen wollte, hatte ich mir gemerkt und sagte ihn der Verkäuferin. Zu meinem Erstaunen konnte sie den Film in der Datenbank nicht finden und bat mich, Tag und Uhrzeit der Aufführung zu nennen. Glücklicherweise hatte ich mir Notizen gemacht und konnte beides nennen – doch weiterhin erfolglos. Um diese Zeit spielte kein Film namens Golden Slumber. Welcher Film statt dessen spiele? Goruden Suramba.
Was war geschehen? Beginnen wir ganz am Anfang: Paul McCartney schrieb irgendwann Ende der sechziger Jahre einen Song namens Golden Slumbers, zu deutsch also „Goldene Schlummer“, dem ISAKA Kotaro eine tragende Rolle in einem seiner Romane gab und diesen auch danach betitelte. 2009 verfilmte NAKAMURA Yoshihiro den Roman mit gleichem Titel. Setzt man die englische Aussprache, so gut das eben möglich ist, unter Auslassung des Plural-S mit dem japanischen Katakana-Silbenalphabet um, entsteht dabei ゴールデンスランバー. Die einzelnen Zeichen wiederum nach ihrer Transkription in lateinische Schrift ergeben dann (fast) das, was auf der Eintrittskarte geschrieben steht; gelesen von der Verkäuferin am Potsdamer Platz ein schönes „Gorruden Surramba“.
In dieser Anekdote zeigt sich ein interessantes Problem: Hätte der Übersetzer besser daran getan, den Titel anders zu übersetzen? Obwohl es mir sicher ein paar Minuten Rätselratens am Potsdamer Platz erspart hätte, ist diese Frage nicht so einfach zu beantworten. Betrachtet man zunächst die Möglichkeiten, die der Übersetzer theoretisch hat, ergibt sich folgendes Bild:
- ゴールデンスランバー (Unkommentierte Beibehaltung)
- Goruden Suramba bzw. richtiger Gōruden Suranbā (Transkription der japanischen Silbenschrift)
- Golden Slumber (Rückführung auf die ursprünglichen englischen Wörter)
- Goldener Schlummer (Übersetzung ins Deutsche)
- [-?-] (Erfinden eines anderen Titels, so wie beispielsweise der Italowestern Il grande silenzio auf deutsch Leichen pflastern seinen Weg heißt)
(Die Option des Unter- oder Zusatztitels spare ich an dieser Stelle einmal aus.)
Bevor der persönliche Geschmack entscheidet, will überlegt sein, welche Voraussetzungen ein guter Titel hat. Das wären sicher Kürze, Wiedererkennungswert, optische und klangliche Attraktivität. Kurz sind all diese Titel, so daß dieses Kriterium hier getrost beiseite gelassen werden kann. Auch läßt sich vermuten, daß deutsche Titelmacher, die in ihrer Kreativität kaum Grenzen kennen, sicher einen einprägsamen Titel erfinden könnten – vielleicht Tödliche Beatles oder Nippon Runaway: Ein Mann auf der Flucht – doch wollen wir hier, bei der Diskussion von Übersetzungsvarianten, auch davon absehen.
Variante eins, das ahnte man schon, ist womöglich optisch attraktiv, fällt aber spätestens dann aus der Wahl, wenn jemand den Titel aussprechen möchte; der Wiedererkennungswert ist dahin. (Unaussprechliche Namen dürfen sich wohl nur Musiker erlauben, die bereits so bekannt sind, daß sie trotzdem erkannt werden.) Ich möchte aber behaupten, daß sich Goruden Suramba aus demselben Grunde nicht zur Wahl anbietet, denn die Buchstabenfolge hat im Deutschen keinerlei Bedeutung und ist somit schwer im Gedächtnis zu behalten. Golden Slumber bzw. Goldener Schlummer scheinen alle Voraussetzungen zu erfüllen, und doch ist einer der Titel geeigneter als der andere: Bei einer Übersetzung sollte, über die üblichen Anforderungen an einen Titel hinaus, das Original und die Intention des Autors nicht unbeachtet bleiben.
Natürlich ist es nicht einfach, die Intention des Autors herauszufinden, wenn man sich nicht mit ihm austauschen kann. Lassen wir einmal offen, ob der Übersetzer des Titels das konnte. Doch sollte die Frage in diesem Fall ausnahmsweise kein Kopfzerbrechen verursachen, wird doch im Film selbst auf die Herkunft des Titels hingewiesen. Auf japanischen CDs werden die Songtitel nicht selten in der Katakana-Silbenschrift wiedergegeben, so daß für japanische Zuschauer bei ゴールデンスランバー durchaus die Verbindung zum Beatles-Song gegeben ist. Wer denkt bei den Wörtern „Goldener Schlummer“ an das Beatles-Lied? Wohl wenige. Um also die Intention des Autors zu treffen und möglichst wirkungsäquivalent zu bleiben, drängt sich Golden Slumber als Titel geradezu auf.
Doch muß man so kompliziert gar nicht denken, ein Blick auf die offizielle Webseite des Filmes hätte bereits genügt, denn die lautet nicht etwa www.guruden-suramba.jp, sondern – man ahnt es bereits – http://www.golden-slumber.jp/.
Ich vermute, dass die Veranstalter etwas exotisches haben wollten. Denn wer in einen hierzulande wenig bekannten asiatischen Film geht, der erwartet zumindest einen unaussprechlichen, geheimnisvoll klingenden Titel. Ansonsten hat der Zuschauer das Gefühl, ihm gehe das Besondere, das Außergewöhnliche verloren.
Während früher der Trend zu vollkommen neuen oder ins Deutsche übertragenen Titeln bestand, muss heute alles so Original wie möglich bleiben. Auch wenn es dadurch mitunter unverständlicher wird und nur der Eingeweihte versteht, was gemeint ist. Dieser kann sich dann jedoch in seinem Wissen baden.
Das könnte in der Tat sein!
Ich habe auch überlegt, was die Ursache für diese Benennung sein mochte, bin aber nur darauf gekommen, daß hier jemand versucht hat, möglichst originalgetreu zu sein und dabei rein wörtlich geblieben ist, ohne auf den Effekt beim Leser bzw. Zuschauer zu achten. Oder aber, so dachte ich, der Gedankengang könnte gewesen sein, daß das japanische ゴールデンスランバー ja auch nur eine Ansammlung im rein japanischen Sinne (Gibt es so etwas überhaupt?) sinnloser Silben ist. Aber dafür sind die Beatles zu populär in Japan und Worte wie ゴールデン auch einfach schon lexikalisiert. (Man denke nur an die ゴールデンウィーク / Golden Week.)
Die Idee des Exotismus ist aber durchaus einleuchtend!
Ich habe den Aufsatz mit Vergnügen gelesen und dabei an mein Katakanalernen mit dem japanischen Museumsführer durch das KHM in Wien gedacht.Die Bilder dem Maler zuzuordnen und die Katakana zu entziffern waren ein Grund, mir auch weniger bekannte Maler zu merken.
Mir hätte kein Titel bei dem erwähnten Film eine Erinnerung an die Beatles gebracht und ich wäre kaum in einer Schlange gestanden, um eine Karte zu bekommen, aber deine Meinung habe ich, siehe oben, mit Vergnügen gelesen!
F.P.
Wenn es so funktioniert, haben die Kana-Umschriften ja gleich doppelten Wert! Ich wünschte, ich könnte mir das auch so einfach merken…
Vielen Dank für’s Lesen!