Inoue Hisashis Werk umfaßt eine Reihe kurzer, oft heiterer Essays, von denen ich hier eines vorstellen möchte. Es stammt aus dem Buch Fu fu fu.
Der längste Name der Welt
Wenn ich an einem Roman oder an einem Drama zu arbeiten beginne, dann sind das, was mir oft unerwartet viele Schwierigkeiten bereitet, die Namen für die auftretenden Figuren. Zum Beispiel wäre „Yamada Hanako1 zu einfach und würde umgekehrt einen starken Eindruck vermitteln. Namen wie „Yamada Shizue“2 gefallen mir, aber sind letztlich veraltet. Und dennoch ist „Yamada Asuka“3 zu modern und nimmt alle Kraft.4
In solchen Momenten beneide ich die Schriftsteller aus Myanmar. Dort braucht man keinen Nachnamen. Genauso wie beim Tenno reicht der Vorname aus. Wenn man die schönen Worte Aung San Suu Kyi5 zusammenfügt, wird daraus ein Vorname. Aung bedeutet „Sieg“ oder „Übertreffen“, San heißt „selten“, Suu bedeutet „ansammeln“ und Kyi „rein“.6 Zusammen ergeben sie einen „von in der ganzen Welt seltener Reinheit überströmenden, vortrefflichen Menschen“. Außerordentlich schön.
Russische Schriftsteller haben vielleicht auch Sorgen bei der Namensgebung. Wie Sie wissen, sind russische Namen aufgebaut aus Vorname + Vatersname + Nachname. Das habe ich einmal mißbraucht und ein Stück geschrieben, bei dem viele Russen mit anstrengenden Namen auftreten. Der Vater heißt Alexandr Drachmaninov Urvibakbanowski, die Ehefrau heißt Olga Feufiraktvina Urvibakbanowskaya…7 Ich habe mir Sorgen gemacht, daß das die Schauspieler dazu bringt, sich auf die Zunge zu beißen, aber nach einigen Sprechübungen konnten sie es bald fließend aufsagen. Übung macht wahrhaft Meister.8
Ich interessiere mich also aufgrund meiner Arbeit für die Namen dieser Welt. Soweit ich weiß, ist der Inhaber des längsten Namens der Welt tatsächlich die Königin von England. Der offizielle Name von Königin Elisabeth geht nämlich so: Elizabeth II, by the Grace of God, of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and of Her Other Realms and Territories Queen, Head of the Commonwealth, Defender of the Faith.9
Kürzlich hat der Moderator in einem Quiz-Programm der englischen BBC (British Broadcasting Corporation) die fünfzig Teilnehmer gefragt: „Was ist der offizielle Name der Queen?“,10 doch es gab nicht einen, der richtig geantwortet hätte.
Aus: Inoue, Hisashi 井上ひさし. Fu fu fu 『ふふふ』 [Geräusch eines leisen Lachens], Kōdansha 講談社 2005.
(Übersetzung Nora Bartels)
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- 山田花子. Sowohl Yamada als auch Hanako (weiblicher Vorname) sind sehr häufige japanische Namen. Die übliche Reihenfolge, Familienname vor dem Rufnamen, wurde beibehalten. [↩]
- 山田静江 (weiblicher Vorname). [↩]
- 山田明日香( weiblicher Vorname), besonders beliebt seit 1999, als die Fernsehserie „Asuka“ mit einer Heldin gleichen Namens ausgestrahlt wurde. [↩]
- Die Wendung 気合いを入れるbedeutet in etwa: „sich konzentrieren“, „geistige Kräfte aufbringen“. In diesem Zusammenhang ist sie eher ungewöhnlich. Statt „nimmt einem alle Kraft“ wäre auch eine Paraphrase denkbar, beispielsweise: „und deshalb nicht so eindrucksvoll/eindringlich“. [↩]
- Politikerin aus Myanmar, 1945–, erhielt 1991 den Friedensnobelpreis, lebt seit vielen Jahre in Gefangenschaft bzw. Hausarrest. Die Umschrift des Namens im Originaltext wird mit dem Katakana-Silbenalphabet vorgenommen: アウンサンスーチー (Romaji: Aunsansūchī). [↩]
- In Myanmar werden Namen häufig gebildet, indem man seine Wünsche für die Kinder aneinander reiht. Auch ist es sehr leicht möglich, den eigenen Namen zu ändern und eigene Hoffnungen oder Vorstellungen einfließen zu lassen. [↩]
- Umschrift im Originaltext im Katakana-Silbenalphabet: アルキサンドール・ドラフマーナヴィッチ・ウルヴィバクバノーフスキー und オーリガ・フェウフィラクトヴナ・ウルヴィバクバーノフスカヤ (Romaji: Arekisandooru Dorafumaanabicchi Urubibakubanoofusukii und Ooruga Feufirakutowuna Urubibakubaanofusukaya) Vermutlich gemeinte Namen in kyrillischer Schrift sind: Александр Дорофеевич Урбибакбановский und Ольга Феофилактовна Урбибакбановска. Insbesondere beim Nachnamen des Ehepaares ist es fraglich, ob hier eine reale Vorlage vorhanden war, oder der Name vom Autor frei erfunden wurde. [↩]
- Original: „Übung ist wahrhaft erschreckend“. Da diese Wendung für deutsche Leser schwer verständlich ist, wurde hier ein geläufigeres Bild gewählt. Möglich wären auch: „Übung ist wirklich etwas Erstaunliches.“, „Übung kann wahrhaft erschrecken.“. [↩]
- Im Original ebenfalls Englisch belassen, zur Abhebung vom restlichen Text hier kursiv gesetzt. Zu Deutsch: „Elizabeth II., von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und ihrer übrigen Reiche und Territorien, Haupt des Commonwealth, Verteidigerin des Glaubens.“ Tatsächlich führt Elisabeth II. in jedem Land des Commonwealth einen etwas anderen Titel. [↩]
- Obwohl im Original das japanische Wort für Königin, nämlich 女王 (joō) benutzt wird, wurde in der Übersetzung das Wort „Queen“ anstelle von „Königin“ gewählt, da es der in Deutschland gängige Name für die Königin von England ist. [↩]