Écriture automatique ist nicht nur eine ästhetisch zweifelhafte Kunstform; es ist auch eine Methode, die mir, seit ich sie kenne, das akademische Leben erleichtert. Leider kenne ich sie noch gar nicht lange und hätte sie wohl auch unprobiert gelassen, wenn ich davon in einem iksbeliebigen Blog wie diesem gelesen hätte. Glücklicherweise aber wurde ich im Rahmen des Baden-Württemberg-Zertifikats für Hochschuldidaktik dazu gezwungen. Um konkreter zu werden:
Wobei hilft das automatische Schreiben?
- Bei der Ideenfindung
- Beim Sortieren wirrer Gedanken
- Beim Überwinden von Schreibblockaden
Wie funktioniert automatisches Schreiben?
Sie brauchen dafür einen flüssig schreibenden Stift, einen schönen Block Papier, einen ruhigen Ort und fünf Minuten Zeit. Natürlich lässt sich die Sache auch mit einem alten Kuli auf der Rückseite eines Kassenbons stehend in der U-Bahn erledigen; es macht aber weniger Spaß.
Vor Beginn notieren Sie die Fragestellung, über die Sie nachdenken wollen. Hier ist alles möglich, von „Was erwarte ich von meiner Hochzeit?“ bis „Was muss unbedingt in den Schlussteil meiner Habilitationsschrift?“. Ich habe mir jüngst die Frage gestellt: „Wie könnte ich meinen Blog in Zukunft füllen?“
Wenn Sie Ihre Fragestellung haben, sehen Sie auf eine Uhr und überlegen Sie, wie lange sie Schreiben wollen – beginnen sie beispielsweise mit 2 Minuten. In diesen zwei Minuten dürfen sie nichts anderes tun als Schreiben; der Stift sollte das Papier nicht verlassen. Sie bringen, ganz wörtlich, Ihre Gedanken zu Papier, möglichst Gedanken zur gewählten Fragestellung, aber auch, was zeitweilig abschweift. Wenn Sie gerade denken: „mir fällt nichts ein“, dann schreiben Sie ebendies. Wichtig ist, nicht aufzuhören. Gleichsam sind für diese 2 Minuten grammatische und lexikalische Regeln zu vernachlässigen; versuchen Sie einfach, mit den Gedanken möglichst Schritt zu halten und machen Sie sich keine Sorgen um die Form.
Möglicherweise geht es Ihnen jetzt wie mir, als ich das erste Mal von dieser Methode gehört habe: Sie halten sie für großen Humbug. Das kann ich Ihnen nicht verdenken, aber lesen Sie vielleicht noch einen Moment weiter.
Was bewirkt das automatische Schreiben?
Diese Methode hat einen Effekt, den man nicht sofort erwartet: Sie verlangsamt nämlich, nach einigen Zeilen Schreibens, das Denken. Und wenn Gedanken nicht mehr in Fluchtgeschwindigkeit davonhuschen, hat man mehr davon. Als ich mir die Frage gestellt habe: „Wie könnte ich meinen Blog in Zukunft füllen“ hatte ich allenfalls ein paar vage Vorstellungen wie „Rezensionen?“ oder „Werkstattbericht?“ Hier ein Ausschnitt aus dem Ende meines automatischen Schreibens zu der Fragestellung:
„Vielleicht ein Zuschauerbericht des Gennai-Dramas? Aktuelles Theaterbuch rezensieren. Populärkultur war ja so ein Thema. Inoue und sein literarisches Umfeld. Die Biografie könnte ich gerade gut rezensieren. Erstmal nichts für technischen Seite der Diss. Später vielleicht zu Erfahrungen mit Druckerei oder Suche nach Verlagen, eventuell inklusive Notizen zu entsprechenden Kursen an der Uni. Wieso habe ich noch nichts zum Baden-Württemberg-Zertifikat geschrieben? Meine Kurse dort aufgelistet und beschrieben? Dann vielleicht sogar dieses Schreibtechnik hier beschreiben und Ergebnisse auflisten. Übergang (Unterstreichungen)“
Wenn das mal nicht performativ war.
Wie Sie sehen können, habe ich die Passagen, mit denen ich für meine Zwecke etwas anfangen kann, am Ende unterstrichen. Die zwei oder drei Minuten haben mir ganze zehn konkrete neue Ideen für den Blog eingebracht. Ich bezweifle, dass ich ein annähernd ähnliches Ergebnis erhalten hätte, wenn ich versucht hätte, aus dem Stehgreif eine Liste zu produzieren.
Wenn Sie Lust haben, nehmen Sie sich die fünf Minuten und probieren Sie es mal. Bestenfalls ist es für Sie ähnlich nützlich wie für mich; schlimmstenfalls können Sie etwaigen Vorurteilen die erste Silbe abnehmen.